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Christian Rätsch

Palenque, ein Juwel im Dschungel

Wenn es eine Zeitmaschine gäbe, und ich eine Reise frei hätte, würde ich ins 9. Jahrhundert nach Palenque reisen. Damals hieß dieses Zeremonialzentrum der Mayakultur Chan Kah, »Schlangen-Ort«; es war ein Ort der Visionen, denn die Schlange war bei den Maya das Symbol der visionären Schau. Das Fenster in das andere Universum. Der Kontakt zur schamanischen Welt.

Das Zeremonialzentrum wurde aus zahlreichen Tempelpyramiden, Opferschreinen, Palästen, Badehäusern und einem Ballspielplatz gebildet. Seine Blüte erlebte Chan Kah zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert, der sogenannten »klassischen Mayazeit«. Die Bauwerke von Palenque gehören zu den absoluten Kulturhöhepunkten sakraler Architektur.

Die nach geometrischen Quadratprinzipien gebauten Tempelpyramiden und Palastanlagen gehörten zu einem präkolumbianischen Kultur-, Handels- und Politzentrum. Dort lebten die Herrscher, Politiker und Verwalter, die Wissenschaftler, Wahrsager, Priester und Schamanen. Dort wurden Politik betrieben, Wissenschaften gelehrt, Hieroglyphen geschrieben, Kunstwerke geschaffen und Rituale praktiziert. Dort fanden die großen Opferfeste statt, dort wurden die Orakel und medizinischen Dienste konsultiert. Dort wurde Astronomie und Astrologie betrieben.

Palenque war keine Stadt im europäischen Sinne. Chan Kah, der »Ort der Schlangen«, war ein interethnisches, multilinguistisches Handels- und Zeremonialzentrum, ein Regierungssitz, eine riesige Nekropole, ein Wissenschaftszentrum mit Akademie, Konservatorium und Sternwarte.

Die Kalksteinbauwerke waren früher mit Stuck bedeckt, der in den typischen Mayafarben (Mayablau, Ocker, Rot, Orange, Braun, Schwarz) vollständig bemalt war. Auf den Stufen standen ständig räuchernde Weihrauchgefäße, die mit phantastischen Götterbildern verziert waren. Auf den geschmückten Tempeln wurden wechselnde Götterbilder aufgestellt. Die Herrscher und Priester trugen sehr aufwendige Kostüme und Kopfpütze. Es muß ein buntes Treiben gewesen sein.

Es ist nicht sicher, welche Sprache im alten Palenque gesprochen wurde, vermutlich Chol. Viel wahrscheinlicher ist es, daß im alten Chan Kah viele Sprachen der Mayafamilie gesprochen wurden. Die einzigen Indianer, die bis heute für alle tempel in Palenque eigene Namen und mythische Überlieferungen besitzen, sind die heidnischen Lakandonen, die südlich von Palenque verstreut im Regenwald, der Selva Lacandona, leben.

Der Ruinenort Palenque wird von den Lakandonen kabal xokla', »Unten am Großen Fluß«, genannt und gilt ihnen als Nabel der Welt. Dort sind die Götter und Göttinnen aus den berauschend-köstlich duftenden Blüten der Tuberose (Polianthes tuberosa) geboren worden. Das was wir heute als Ruinen aus Kalkstein sehen, waren die ersten Häuser der Götter, in ihrer Wahrnehmung nur Hütten aus Holzstämmen und Palmenwedeln. In Palenque wurde der Wald, die Lakandonenwelt, erschaffen. Dazu sammelte Hachäkyum, »Unser Wahrer Herr«, ein paar Kieselsteine und streute sie auf den prämordialen Sandboden. Daraus wuchsen Pilze, die sich dann zu Bäumen entfalteten. Als der Wald fertig war, wurden die Menschen und Tiere aus Ton erschaffen.


Palenque ist heute eine Pilgerstätte für unzählige internationale Touristen, für Berufshippies, spirituell Suchende, Morgenlandfahrer, Castaneda-Jünger, Terence McKenna-Fans, Abenteurer, Schatzsucher, Ökologen, Botaniker, Mykologen, Ethnopharmakologen, Ethnologen, Archäologen, Journalisten, Schriftsteller, Künstler, selbsternannte New Age-Schamanen, moderne Hexen, »wiedergeborene Mayapriester«, Okkultisten, Freimaurer, Esoteriker, Astrologen, Magier aller Richtungen und Freaks aller Schattierungen. Jeder Besucher wird schnell von der Magie des Ortes verzaubert.

Die Ausgrabungen liegen heute in einem Nationalpark. Das große Naturschutzgebiet liegt im Dschungel an den Füßen malerischer Berge. Die Tempel sind umrahmt von der üppigen Tropenflora. In den Wipfeln der großen Bäume tummeln sich lautstark die Brüllaffen. Über den Himmel ziehen schnatternde Papageienschwärme. Aus dem Dickicht erklingt die ewige Dschungel-Symphonie, rhythmisch schwillt das Zirpen der Grillen und Zikaden an und ab. Dazu quaken die Chöre der Frösche. Die schillernden, farbenprächtigen Vögel steuern den einen oder anderen Gesang oder kreischenden Schrei bei.

Das gesamte Gelände wird von Bächen und kleinen Flüssen durchzogen. An einigen Stellen liegen traumhafte, plätschernde Kaskaden. Andernorts und ergießen sich rauschende Wasserfälle, die das Kalkgestein in Formen verwittern lassen die an große Pilzköpfe erinnern. So an dem sagenhaften »Bad der Königin«. Dort sammelt sich das glasklare, frische Wasser in natürlichen Becken, die schon zur klassischen Mayazeit als Badeort genutzt und heute von Besuchern aus aller Welt geschätzt werden.

Für den Besuch der Ruinenanlage sollte man mindestens einen vollen Tag einplanen. Die schönsten Besuchszeiten sind die Morgenstunden und der späte Nachmittag. Wenn es mittags so richtig heiß und drückend wird, gibt es kaum etwas köstlicheres, als mit der Königin ins Bad zu steigen. Das Baden in den Gewässern des Naturschutzgebietes ist völlig ungefährlich. Das Wasser ist so rein, daß man es sogar trinken könnte. Unangenehmes Ungeziefer oder fleischfressende Ungeheuer braucht man nicht zu fürchten.

In der Ruinenanlage gibt es keine Cafeterias oder Restaurants. Deshalb sollte man sich ein Lunchpaket mitnehmen. Im Schatten unter den ausladenden Kronen der Kapokbäume (Ceiba pentandra) kann man vorzüglich ruhen, picknicken und der Magie des Ortes hingeben. Der mächtige Kapokbaum ist in der Mayakultur der Weltenbaum, der die verschiedenen Schichten des Kosmos miteinander verbindet. Er ist ein heiliger Baum der Schamanen, die in veränderten Bewußtseinszuständen durch Stamm und Geäst in die daran angeschlossenen anderen Welten reisen.

In Ermangelung einer Zeitmaschine à la H.G. Wells bleiben nur noch Träume und Visionen als Zugang zur mystischen Welt des Schlangenortes. Ein paar lokale Zauberpilze (Psilocybe cubensis) können dabei durchaus hilfreich sein. Das »Fleisch der Götter« ist ein echter Treibstoff für die visionäre Zeitreise ins Herzen der geheimnisvollen Mayakultur.

Auf den Wiesen und Weiden wachsen die psychedelischen »Pilze der Götter« (Psilocybe cubensis), die den Wirkstoff Psilocybin enthalten. Sie sprießen nach jedem Regenguss auf den Kuhfladen und recken ihre goldenen Kappen der Sonne entgegen. Sie werden von den grasenden Kühen zwecks Luststeigerung gefressen, von Chol-Indianern und anderen Ortsansässigen geerntet und an Touristen verkauft. Manch ein übereifriger Pilzfreund gerät manchmal in die Felder, bringt aber neben seiner frischen Pilzernte noch Tausende im Gras herumlungernde Parasiten mit: Mini-Zecken, kaum mehr als ein winziger roter Punkt in der Haut. Daraus werden im feucht heißen Tropenklima schnell juckende und sehr lästige Kraterlandschaften. Ein hoher Preis für das »Fleisch der Götter«.



Palenque, Chiapas, México

Der eigentliche Ort Palenque liegt etwa sieben Kilometer von den Ruinen entfernt.

In Palenque wohnen ein paar Tausend Menschen. Die genaue Einwohnerzahl wird gelegentlich am Ortsschild angeschlagen, für den der es genau wissen will. Allerdings ist die Zahl bereits beim Schreiben veraltet, wenn man die Zuwachsrate der mexikanischen Bevölkerungsexplosion berücksichtigt. In Palenque kann man täglich mehrere Indianersprachen hören (Chol, Tzeltal, Tzotzil, Lacandón, Maya).

Palenque ist eine typische lateinamerikanische Grenzstadt, mit buntem Markttreiben, zwielichtigen Spelunken, gerissenen Händlern, ausländischen Spekulanten und vollgekifftem Militär.

Dort gibt es Geschäfte aller Art, Bars, Restaurants, Spielhallen, Bordelle, ein Kino, die Post, Wechselstuben, Banken, Geldautomaten (ihr Gebrauch ist dringend zu empfehlen!), Reisebüros und natürlich etliche Internet Cafés.

Reisezeit
In Palenque ist es das ganze Jahr über tropisch heiß und sehr feucht. Es kann zwar immer regnen, aber die eigentliche Regenzeit ist von Juni bis Oktober. Der klimatisch unangenehmste Monat ist August. Am schönsten (warm, aber nicht zu heiß, abends ggf. frisch; kaum Regen) ist der Februar.

Anreise
Palenque kann man von allen großen Städten per Bus erreichen. Das mexikanische Bussystem ist erstaunlich gut organisiert und recht komfortabel. Palenque hat einen kleinen Flughafen, von dem Flüge nach San Cristobal de Las Casas und Flores (Anflugort für Besuche von Tikal in Guatemala) abgehen oder von dort ankommen. Wenn man von México, D.F. schnell nach Palenque gelangen möchte, empfiehlt es sich nach Villahermosa zu fliegen und direkt vom Flughafen ein Taxi (Festtarif) nach Palenque zu nehmen.

Unterkunft
In der Ortschaft Palenque gibt es zahllose Hotels in unterschiedlichen Preislagen. Die schöneren Hotels liegen jedoch außerhalb, meist entlang der Straße, die zu den Ruinen führt. Die komfortabelste und kostspieligste Unterkunft bietet das Hotel Chan Kah Ruinas, eine Bungalowanlage inmitten schönster tropischer Gärten und Waldstücken.

In der Nähe des archäologischen Museums liegen mehrere Campingplätze. Dort kann man sein eigenes Zelt aufschlagen, an Unterständen seine Hängematte aufhängen, sein Wohnmobil parken oder kleine Cabanas mieten.

Verpflegung
Leider ist das Essen in Palenque nicht besonders gut. Auch in den teureren Hotels nicht. Aber, wer will, kann sich auf dem Markt und in unzähligen Supermärkten und Tiendas selbst versorgen. Die tropischen Früchte sind meist sehr gut. In einigen Restaurants wird manchmal gegrilltes venodo oder tepesquitli (ein großes Nagetier aus dem Dschungel) angeboten.

Drogen
In Mexiko sind alle Drogen genauso illegal wie im Rest der Welt. Polizeikontrollen sind scharf und unangenehm. Dennoch werden vom Hotelpersonal und in manchen Tiendas mexikanisches Marijuana und Kokain (in erstaunlich guter Qualität und günstig) angeboten.

Entlang der Straße, die zu den Ruinen führt, trifft man häufig auf Indianer und Mestizen, die frisch gesammelte Zauberpilze (Psilocybe cubensis) verkaufen. Die Pilze stammen von den Kuhweiden der näheren Umgebung. Dort kann man sie auch selbst sammeln, man braucht sie nur von den Kuhfladen zu pflücken. Dies wird von den Landbesitzern jedoch gar nicht gerne gesehen.

Wenn man das Ruinengelände betritt, sollte man besser keine Pilze bei sich haben (vorher verspeisen!), da man leicht in eine Gepäckkontrolle geraten kann. Dann wird mit Polizei gedroht, will man nicht sogleich die angebliche Geldstrafe bezahlen.

Die Zona Arqueológica
Die Ruinen liegen etwa 7 km von der Ortschaft Palenque entfernt. Man kann sie zu Fuß (schöner Weg!), per Anhalter, mit Sammeltaxis vom Dorfzentrum aus, mit Taxis oder eigenen Fahrzeugen (z.B. Fahrrädern!) erreichen. Parkplätze sind vorhanden. Das Museum liegt etwa 2 km vor dem Eingang zum Ruinengelände.
Öffnungszeiten: Täglich von 10:00 bis 17:00 Uhr
Sonntags ist der Eintritt frei, wird sonst an allen Tagen erhoben (gilt auch für das archäologische Museum).

Nachtbesuche sind nicht erlaubt, aber mit einer komplizierten bürokratischen Anstrengung vom archäologischen Institut in México, D.F. erhältlich.

Ausflugsziele
Von Palenque aus lassen sich einfach Tagesausflüge in die Selva Lacandona organisieren. Besonders schön sind die Mayaruinen von Bonampak und Yaxchilan, beide aus der klassischen Mayazeit. Wer Wasser liebt, kann zu den phantastischen Kaskaden von Agua Azul (1-2 Stunden Fahrzeit) und dem malerischen Wasserfall von Misoljá (= »Wunderbares Wasser«) fahren (45 Minuten Fahrzeit).

Wenn man bei An- oder Abreise in der Ölstadt Villahermosa Station macht, sollte man sich unbedingt den Parque Arqueológico La Venta ansehen. Dort sind inmitten des Dschungels die megalithischen Kolossalköpfe und Steinskulpturen der Olmeken (Vorläuferkultur der Maya) ausgestellt.


Literaturtip:

MERCEDES DE LA GARZA, Palenque, México: Gobierno del Estado de Chiapas, 1992.

B. TRAVEN, Caoba-Zyklus (Spanische Ausgabe???)
Diese vier Romane spielen in der Selva Lacandona; geeignete Reiselektüre.



Palenque, Januar 1996

Es hat die ganze Nacht geregnet, besser gesagt gegossen! Jetzt hängen nur noch Nebelschleier in den Baumkronen. Die ersten Sonnenstrahlen lassen die Tropfen auf den großen Blättern der üppigen Aronstabgewächse in allen Regenbogenfarben aufleuchten. Papageienschwärme ziehen über den Dschungel, die letzten Schreie des morgendlichen Brüllaffenkonzerts verhallen. Ich trete aus dem Dschungel heraus und gehe zur nächsten Kuhweide. Kaum betrete ich das Gras, leuchten schon die goldenen Köpfe der Zauberpilze zwischen den Halmen hervor. Gestern lag hier nur ein großer Kuhfladen heute gedeiht hier das Fleisch der Götter. Die Pilze (Psilocybe [Stropharia] cubensis) sind prall und frisch, gerade dabei, ihren Hut aufzuspannen. Schnell habe ich mir eine Portion gesammelt. Als ich die Wiese verlasse, sehe ich die nächsten Pilzsammler heranziehen. Auch sie werden reichlich finden – kein Wunder nach diesem Regen. Hier kann man die Pilze förmlich wachsen hören.

Mein Weg treibt mich in Richtung der fantastischen Ruinen aus der Mayazeit. Ich schlendere durch den Dschungel, erfreue mich an den Geräuschen, den Chören von Grillen und Zikaden, den Rufen des bunten Federviehs, dem Plätschern der Bäche und dem Rauschen der Wasserfälle. Die Vegetation dampft noch, aber die Sonne sticht bereits. Ich steige eine Tempeltreppe hinauf und setze mich in einen kleinen Tempel, von dem der Blick ungestört über das ganze Zeremonialzentrum, über Tempel, Türme und Pyramiden streifen kann. Der Ausblick ist erhebend. Hinter der Anlage aus dem 8. Jh. erheben sich kegelige und pyramidenförmige Hügel und Berge. Die Morgensonne taucht die Szenerie in goldenes Licht, vertreibt die Nebelfetzen aus dem Gestrüpp und segnet das Land mit ihrer Kraft. Genüßlich verzehre ich die Pilze. Sie schmecken wie frisch geerntete, rohe Champignons, nur ihre Wirkung wird ganz anders sein.

Ich versinke im Anblick der alten Mayabauten. Plötzlich erscheinen sie so, wie sie in vorspanischer Zeit ausgesehen haben müssen. Da liegen keine blassen Kalkstein-Ruinen mehr, die Tempel und Paläste sind mit den wunderbarsten Formen und Mustern bemalt. Alles in Erdfarben; Braun- und Rottöne dominieren, aber auch ein blau-grünes Türkis schimmert hindurch. An den Treppen der Tempel ranken Winden empor, deren Blüten sich lüstern der Sonne öffnen, auf den Tempelsimsen tanzen befiederte Jaguare. Am Eingang »meines« Tempels locken junge Göttinnen, freudig ihre Reize darbietend. Ich folge ihrem Angebot, betrete den Tempel. Im Inneren ist der Raum unbeschränkt. Da wo einst Wände standen, eröffnet sich das unendliche sternenerstrahlte Weltall. Vor mir steht eine riesiger goldener Pilz, von innerem Licht erfüllt. Aus seinen Lamellen regnen Sporen – wie funkelnde Brillianten – herunter. Ich selbst werde zu einem tanzenden Jaguar, huldige dem Pilz und verschmelze mit den Mayagöttinnen.

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