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Christian Rätsch

Die Meereskokosnuß


Schon beim ersten Anblick springt einen die Weiblichkeit direkt ins Gesicht. Die große Frucht der Meereskokosnuß stellt fast überdeutlich zur Schau, was sonst vom Menschen schamhaft verborgen wird. Die runde, üppige Nuß gleicht einem weiblichen Unterleib aufs Haar. Deutlich erkennt man eine leicht behaarte Vulva zwischen zwei prallen Pobacken! – Ein wundersames Spiel der Natur? – Ein sich geradezu aufdrängender Beweis für die sympathische Magie? – Oder eine zufällige Analogie in Form und Größe? – Oder ein Fraktal des Ewigweiblichen?

Die Meereskokosnuß, auch unter den Namen Doppelkokosnuß oder Coco de Mêr bekannt, hat schon viele, vor allem männliche Gemüter erhitzt. Die sonderbare Frucht wurde erstmals auf den Malediven am Strand gefunden. Daher heißt sie auch Maledivennuß. Auf dem kleinen Inselreich gibt es allerdings kein Gewächs, das solche Früchte hervorbringen würde. So hielt man die seltene Nuß für eine Frucht eines Meeresgewächses in den Tiefen des Indischen Ozeans.

Man glaubte sie stamme von unterseeischen Palmen und nannte sie deshalb Meereskokosnuß. Selbstverständlich galten die suggestive Frucht als wunderbares Aphrodisiakum. Die unbezahlbaren Wundergebilde wurden von liebesmüden Maharadjas und Sultanen zerraspelt geschluckt. Gelegentlich wurden die Früchte auch als Manifestationen der Großen Göttin in tantrischen Tempeln verehrt. In der frühen Neuzeit gelangten sogar einige Exemplare in die Kunst- und Wunderkammern der Fürsten- und Königshäuser in Europa. In Ebgland glaubte man im 19. Jahrhundert, daß die Meereskokosnuß wegen ihrer »herzförmigen« Gestalt ganz sicher die Frucht vom legendären Baum der Erkenntnis sei.

Wahrscheinlich waren es englische Piraten, die erstmals die Mutterpflanzen der kostbaren Nuß erblickten. Sie hielten sich im 18. Jahrhundert auf Praslin im Versteck. Unweit des Strandes, an dem Roman Polanski seinen Film Piraten gedreht hat, liegt ein geschütztes Tal, das einen üppigen Palmenwald – heute Vallée de Mai genannt – birgt. Dort stehen sie seit Urzeiten als Blüte eines Seitenastes der Evolution.

Die bis zu vierzig Meter hohe Meereskokospalme (Lodoicea maldivica) wächst nur auf den Seychellen, einem der letzten Naturparadiese im Indischen Ozean. Sie ist auf den kleinen Inseln Praslin und Curieuse endemisch. Auf Praslin gibt es ein Tal (Vallée de Mai), in dem die urtümlich wirkenden Palmen zu hause sind. Das Tal hat eine entrückende Atmosphäre. Man glaubt, jeden Moment könnte ein Dinosaurier oder ein anderes Urzeitviech um die Ecke biegen. Der Wind läßt die bis zu über vier Meter langen und ebenso breiten Blätter aneinanderreiben, aufeinanderschlagen und sich rhythmisch bewegen. Der polyphone Rhythmusteppich trägt den Besucher in andre, märchenhafte Welten. Das einzige andere Geräusch, was zu hören ist, klingt ganz wie eine vom Menschen gepfiffene Melodie. Sie wird allerdings von einem kleinen, ganz schwarzen Papageien geträllert. Dieser Vogel ist mindestens so selten wie die Palme, und kann nur in ihrer Nähe existieren. Außer einige Insekten leben im Meereskokospalmenwald noch ein paar Chamäleons, die mit ihren merkwürdigen Augen die Welt zu einem verzauberten Ort verzerren.

Die bis zu tausend Jahre alt werdende Palme ist zweigeschlechtlich. Die männliche Pflanze bildet einen meterlangen Blütenstand aus, der wie ein riesiger Penis zwischen den mächtigen gefächerten Blättern herunterhängt. Die Frucht der weiblichen Palme sieht – wie bereits erwähnt – wie eine naturalistische Nachbildung der weiblichen Scham aus. Auf den Seychellen erzählt man deshalb, daß die Palmen nur in stürmischen Nächten miteinander kopulieren und sich befruchten könnten. Vom Sturm getrieben neigen sie sich mit ihren langen, biegsamen Stämmen aneinander. Mit Blitz und Donner wird der Naturkoitus besiegelt! – In solchen Nächsten ist es gefährlich, durch die Palmenhaine zu wandern. Man könnte durchaus von einer herabfallenden Nuß erschlagen werden.

Es konnte bisher leider kein aphrodisischer Wirkstoff in der Meereskokosnuß festgestellt werden. Wer sie essen und ausprobieren möchte, muß einen Urlaub auf der Seychellen-Insel Praslin buchen. Dort wird ein Dessert aus dem Kokosfleisch ganz junger Früchte serviert, natürlich mit einem flunkernden Blick des Kellners.

Etwas aufwendiger ist die Zubereitung eines anderen Aphrodisiakums. Dazu wird der harte, trockene Kern der Meereskokosnuß zerraspelt. Die Splitter werden über Nacht in Wasser eingeweicht und am nächsten Morgen abgekocht. Das Dekokt wird kurz vor einen Rendevouz getrunken – vorzüglich von etwas älteren Männern. Der Kern kann aber auch in Alkohol, z.B. Rum eingelegt und als Extrakt genossen werden. Für diesen Zweck wurden die kostbaren Nüsse tonnenweise nach Hongkong und Shanghai verschifft. Die liebeshungrigen, aber oft impotenten Chinesen, sahen in der Meereskokosnuß ein ähnlich stark wirksames Liebesmittel wie im Horn des Nashorns. Leider kann niemand außer manchen Chinesen, diese Wirkungen bestätigen. Auch die Japaner sollen von dem vermeindlichen Aphrodisiakum angetan sein. Früher hielt man die Nuß auch für eine Panazee, ein Allheilmittel. Vor allem wurde sie als universelles Gegengift (Antidot) und Heilmittel von Geisteskrankheiten angesehen.

Die Seychelloirs, eine bunte Mischung von Kreolen, verwenden die Palme aber auch anderweitig. Der Afrikareisende Gottlieb August Wimmer schrieb bereits 1834 in seinem Buch Neueste Gemälde von Afrika und den dazugehörigen Inseln dazu: »Sehr wohltätig ist aber die maldivische oder Seekokosnuß. Die Blätter dieses Baumes dienen zu Dächern, die Fasern zu Stricken, die Schalen der Nüsse werden zu Tellern, Näpfen und dergleichen verarbeitet, die unter dem Namen Praslinische Töpferwaren bekannt sind.« Noch heute kann man sich auf Praslin in einer Strand-Lodge einmieten, deren Wände aus den beständigen Coco-de-Mêr-Blättern bestehen.

Zum Glück für die Pflanze, steht das Vallée de Mai heute unter Naturschutz. Die nach stürmischen »Liebesnächten« heruntergefallenen Nüsse werden sorgfältig von Rangern aufgesammelt und mit Regierungszertifikat zu sehr hohen Preisen (pro Nuß ca. 300-400 Franken) verkauft. Der Erlös dient dem Erhalt des Naturparks.


Quelle: Natürlich



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