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Christian Rätsch

Auf "Schildkrötenjagd" in den Badlands


Die Amerikaner nennen das Fossiliensammeln fossil hunting, "Fossilien-Jagd". Auf eine solche "Jagd" konnte ich einige amerikanische Freunde begleiten. Es ging in die Badlands, inmitten des Stammesgebietes der Sioux-Indianer in South Dakota.

Die Badlands ist eine der eindrucksvollsten Landschaften Nordamerikas (O'Harra 1920). Die ausgewaschenen Ablagerungen aus der Kreide- und Tertiärzeit erinnern an eine bizarre Mondlandschaft. Man fühlt sich wie auf einen fremden Planeten versetzt. Die kargen Hügel, zerklüftete Hänge und Canyons wirken aus der Ferne betrachtet leblos. Doch findet man bei genauem Hinsehen reichlich Leben. An das wüstenartige Klima gut angepaßte Pflanzen, z.B. den Sonnenhut (Echinacea angustifolia) und Sukkulenten. In den trockenen Flußbetten, die nur nach starken Regenfällen Wasser führen, sind alle möglichen Tierspuren zu erkennen. Sogar Büffel besuchen gelegentlich diese labyrinthische Landschaft. Einige Passagen des internationalen Kinoerfolges Der mit dem Wolf tanzt sind in den Badlands gedreht worden.

Den Indianern sind die Badlands - heute ein Nationalpark - schon seit Urzeiten heilig. Dort sind überall gewaltige Knochen vom Donnerpferd (Titanotherium) und zu Stein gewordene Schildkrötenpanzer in dem lockeren Gestein zu sehen. Die Indianer sagen, daß es die Knochen ihrer Ahnen sind (Rätsch 1994). Diese Knochen haben eine magische Kraft und gelten als Medizin. Sie werden in den Medizinbeuteln als kraftbringende Amulette getragen. Die Schildkröte ist den Indianern ein sehr heiliges Tier, denn die ganze Erde ist der Rücken einer gigantischen Schildkröte, die auf dem Grunde des Meeres sitzt und dort seit der Urzeit verharrt, um Menschen, Tieren und Pflanzen als Wohnort zu dienen. Die Indianer nennen den nordamerikanischen Kontinent deshalb Turtle Island, "Schildkröteninsel".

Die tertiären Ablagerungen der Badlands sind 25-35 Millionen Jahre alt (Oligozän, Chadron und Brulé Formationen) und bestehen aus weichen, sehr feinkörnigen Tonschichten, Lagen vulkanischer Asche, dünnen Sandsteinbetten und isolierten Konkretionen, die oft gut erhaltene Fossilien enthalten. Der Reichtum an Wirbeltierfossilien hat den Badlands den Spitznamen "The World's Largest Animal Graveyard" eingebracht. Im Oligozän herrschte anscheinend ein mildes Klima, das genug Weideland und reichlich Nahrung produzierte. Es gab verschiedene frühe Formen des Rhinoceros (Hyracodon, Subhyracodon), und das gewaltige Titanotherium (Brontotherium). Es ist das "Donnerpferd der Indianer" und war das größte Landtier seiner Zeit. Es gab kleine, dreizehige Pferde (Mesohippus), Herden von Oreodonten, hundeartigen Pflanzenfressern (Merycoidodon), Kamele (Tylopoda), Tapire (Protapirus), Hunde (Cynodictis), gigantische Wildschweine (Dinohyus, Elotherium), Nagetiere (Paleolagus), Insektenfresser (Proterix) und verschiedene fleischfressende Säbelzahnkatzen (Dinictis, Hoplophoneus) und bärenartige Tiere (Daphoenodon). Es gab auch Reptilien, wie Eidechsen (Hyporhina) und Krokodile (Crocodilus, Caimanoides). Besonders häufig aber waren Landschildkröten (Stylemys, Testudo). Oft werden auch Schnecken gefunden, die vermutlich in Flüssen oder im Marschland lebten.

Ich war begeistert, in dieser fremdartigen Welt auf "Jagd" gehen zu dürfen. Es war sehr heiß (ca. 46°C), trocken und klar. Die Sonne brannte schon am frühen Morgen. Wir waren mit Proviant, reichlich Wasser, Grabwerkzeugen, Gips und einem vierradangetriebenen Jeep gut ausgerüstet. Da im Nationalpark verständlicherweise das Fossiliensammeln verboten ist, fuhren wir in ein Randgebiet, das auf Privatland innerhalb des Reservats liegt. Meine Freunde haben von den Indianern die Erlaubnis erhalten, auf ihrem Land nach Versteinerungen zu suchen. Wir fuhren zunächst auf der einzigen Asphaltstraße der Gegend, um dann in einen kaum sichtbaren Weg abzubiegen. Wir mußten mehrere Flüsse und trockene Flußbetten durchfahren und schlängelten uns immer tiefer in die Canyons hinein. Wir hielten an einem alten Rastplatz und tranken jeder einen Liter Wasser. Um in den Badlands wandern zu können braucht man ein festes griffiges Schuhwerk, da es keine Wege gibt und die Abhänge oft steil und lose sind. Mir wurde erklärt, daß die Fossilien nur in bestimmten Schichten vorkommen. Man könne sie an der Farbe erkennen. Zuerst konnte ich allerdings gar nichts erkennen. Meine Freunde machten mich immer wieder auf kleine Oreodon-Zähne oder Schädelfragmente und Knochenstücke vom Titanotherium in den vertrockneten Wasserläufen aufmerksam. Wenn man am Boden eine Spur entdeckt, bedeutet das, daß es irgendwo in der Wand ein Fossil gibt, das aus den Ablagerungen herauswittert. Nach einigen Stunden hatte ich Glück. Vor mir im Sand entdeckte ich ein Stück von einem Schildkrötenpanzer. Ich verfolgte die Spur an der steil aufragenden Wand. An einer Stelle entdeckte ich dann den ganzen Panzer einer Schildkröte (Stylemys nebrascensis). Ein paar Stücke waren herausgebrochen. Das Stück, das ich im Flußbett gefunden hatte, paßte genau in den Panzer. Nun ging es an das Bergen des Fossils. Man darf es nicht einfach heraushauen, denn dann würde es zerbröseln und wertlos sein. Ich kratzte rings um das Fossil einen tiefen Spalt in das weiche Gestein. Darein goß ich Gips, der sofort hart wurde. Das so befestigte Fossil konnte ich nun aus seinem Felsenbett heraushebeln. Ich sammelte alle Bruchstücke ein und legte das Fossil stolz in meinen Rucksack. Meine Freunde fanden noch ein paar andere Schildkröten, den Schädel einer Säbelzahnkatze und ein Fragment eines Rhinoceros. Am Abend fuhren wir hungrig und durstig von unseren erfolgreichen Jagd nach Hause. In der Präparationswerkstatt meiner Freunde wurde die Beute abgelegt, um in den nächsten Tagen oder Wochen sorgfältig gesichtet und präpariert zu werden.

Literaturhinweise:

Hay, O. P.
1908 The Fossil Turtles of North America, Washington: Carnegie Institution.
O'Harra, Cleophas C.
1920 The White River Badlands, Rapid City, South Dakota: South Dakota School of Mines, Bulletin No.13.
Rätsch, Christian
1994 "Die Badlands und ihre Fossilien", Fossilien 4/94: 223-226.

Quelle: Schildkröten I/95: 20-24, 1995.

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