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Das Jüngste Gericht

Martin Zlatohlavek, Christian Rätsch, Claudia Müller-Ebeling

Wahrscheinlich ist das Jüngste Gericht neben der Kreuzigung das häufigste Motiv der europäischen Kunstgeschichte. Keine mittelalterliche Kirche kam ohne ein Bild des richtenden Christus aus, oft ergänzt um die zwölf Apostel als Kollegium, die Auferstehung der Verstorbenen, die Seelenwaage, die der Erzengel Michael hielt, während er mit dem Teufel über das Schicksal der Gewogenen stritt, die Scheidung der Guten von den Bösen, die Aufnahme in das Himmelreich einerseits und den Höllensturz andererseits.
Bedeutung der Bildmotive
Diese Allgegenwart des Themas in der Vergangenheit steht im denkbar schärfsten Kontrast zur Bedeutung des Jüngsten Gerichts für den heutigen Menschen. Wenn es ein unpopuläres theologisches Gebiet gibt, dann jener Teil der christlichen Botschaft, der von der Wiederkunft und dem letzten Gericht handelt. Die Kirchen selbst neigen zu eher verhaltenen Äußerungen, und weit verbreitet ist heute die Vorstellung von der apokatastasis panthon, der "Allversöhnung".
Was bringt unter solchen Umständen einen Theologen, eine Ethnologin und einen Altamerikanisten dazu, ein Buch über das Jüngste Gericht und seine bildliche Darstellung herauszugeben? Liest man die Einleitung des hier vorgestellten Bandes, erhält man auf die Frage keine oder keine befriedigende Antwort. Dort heißt es lapidar und ohne Vorbehalt gegen den Zeitgeist: ?Gänzlich ihres Inhalts entleert wurde die Vorstellung von Gott als Weltenrichter, der die Sünder durch Verdammnis und Sturz in die Hölle bestraft. Der Mensch nimmt das Gericht über Seinesgleichen und deren Bestrafung selbst in die Hand. Die Vorstellung von allgemeiner Begnadigung, Versöhnung und Toleranz liegt uns heute viel näher. Die Unterscheidung von Auserwählten und Verdammten, wie sie die Bilder vom Jüngs-ten Gericht zeigen, sind bedenklich elitär und sektiererisch.?
Umso erfreulicher allerdings, dass diese Vorgabe nicht dazu führt, die Qualität der einzelnen Beiträge spürbar zu mindern. Die Autoren schlagen einen großen Bogen und bieten zumal dem theologischen Laien eine umfassende Darstellung des Gegenstands: Es wird die vorchristliche (im alten Ägypten und Iran, bei Germanen und im antiken Griechenland) und außerchristliche Idee des ?Seelengerichts? (bei einigen ?Naturvölkern?, in Hinduismus, Buddhismus und Islam) ebenso behandelt, wie die Grundlegung der Lehre vom Jüngsten Gericht im Alten Testament und deren Ausgestaltung im Neuen Testament. Eine besondere Rolle spielt die Aufnahme des Bildmotivs in der westlichen und östlichen Christenheit, unter besonderer Berücksichtigung der Kompositionen großer Meister, angefangen beim ?Urbild? des Jüngsten Gerichts im Utrechter Psalter, der aus dem 9. Jahrhundert stammt. Die einzelnen Abschnitte sind gut, zum Teil hervorragend illustriert, oft unter Heranziehung von selten wiedergegebenen Plastiken, Gemälden und Zeichnungen. Der Band verfügt außerdem über ein vorzügliches Register.
Wie Martin Zlatohlávek im ersten Beitrag zutreffend feststellt, gehört der Gedanke eines letzten Gerichtes und einer jenseitigen Bestrafung oder Belohnung nicht zu den ganz alten religiösen Vorstellungen der Menschheit. Erst in den Jahrhunderten vor Christi Geburt begann diese Idee Gestalt anzunehmen und immer mehr Anhänger zu finden. Der Grund lag wohl in der offenkundiger hervortretenden Ungerechtigkeit individueller Schicksale und der Versittlichung des Gottesbildes. Besonders eindrucksvoll entfaltete sich die neue Vorstellung im antiken Iran mit der Lehre Zara-thustras und in Griechenland, wo Platon die populären Vorstellungen von einem je nach Verdienst bestimmten Schicksal nach dem Tod philosophisch klärte.
Richter über Lebende und Tote
In seinem Dialog "Gorgias" ließ er einen Mann auftreten, der in der Schlacht gefallen schien, dann aber nach zehn Tagen in das Leben zurückkehrte und nun von seinen Erfahrungen im Jenseits berichtete: "Seine Seele, dem Leib entflogen, zog mit vielen anderen von dannen. Bald kamen sie an einen wundersamen Ort, wo zwei Schlünde, sich benachbart, in der Erde klafften, und zwei andere, ihnen gegenüber, zum Himmel blickten. Zwischen ihnen saßen Richter, die zuerst ihre Sprüche fällten und sodann befahlen, dass die Gerechten auf dem Pfad zur Rechten nach oben durch den Himmel gingen, nachdem sie ihnen vorher Zeichen auf die Brust geheftet, die den Richterspruch bezeugten. Jedoch die Ungerechten mussten den Weg betreten, der zur Linken nach unten führte; auch sie trugen auf den Rücken Erkennungszeichen für alle ihre Taten."
Obwohl die Vorstellung vom Richter, dessen ausgleichender Gerechtigkeit, der Scheidung nach rechts und links, Himmel (oben) und Hölle (unten) also schon dem Heidentum vertraut war, hat erst das Christentum diese Vorstellungen zusammen mit gewissen apokalyptischen Traditionen des Judentums (die ihrerseits persischen Einflüssen unterlagen) zu einem neuen Ganzen vereinigt, in dessen Ethos der Bezug auf den, der wiederkommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten, die entscheidende Rolle spielte.

Verlag: Benziger
Erschienen: August 2001
ISBN: 3545341607
Kosten: 34,90 EUR
Buchdaten: 240 Seiten

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